Herr Erfurt, Sie haben Meyer & Burger strategisch neu ausgerichtet und konsequent auf europäische Solarproduktion umgestellt. Was waren aus Ihrer Sicht die entscheidenden Erfolgsfaktoren – und welche Lehren lassen sich daraus für andere Technologieunternehmen ziehen?
Gunter Erfurt: Erfolg hatte vor allem drei Gründe: Erstens der Mut zum klaren Schnitt – weg vom Maschinenbau hin zum Solarhersteller mit Technologiefokus. Zweitens das Alleinstellungsmerkmal durch Hochleistungstechnologie, statt bloß günstiger zu produzieren. Und drittens starke Partnerschaften mit Politik, Forschung und Investoren. Die Lehre für andere: Manchmal braucht es eine radikale strategische Wette, konsequent umgesetzt, um ganze Branchen neu zu erfinden. Leider ist das Projekt final gescheitert, da der industriepolitische Wille fehlte und Europa sich ohne Gegenwehr der Abhängigkeit Chinas ausgeliefert hat.
Der Aufbau einer europäischen Photovoltaik‒Wertschöpfungskette gilt als essenziell für die Energie‒ und Versorgungssicherheit. Wo sehen Sie aktuell die größten Lücken – und wie lassen sich diese schließen?
Erfurt: Faktisch haben derzeit alle europäischen Hersteller ihre Produktion eingestellt oder sind insolvent. Die größten Lücken liegen damit nicht nur in den Vorstufen, sondern in der gesamten industriellen Wertschöpfung. Schließen ließe sich diese Lücke nur durch eine koordinierte europäische Industriepolitik, die Produktion und Nachfrage gleichermaßen absichert – ähnlich wie es die USA und China vormachen. Ohne einen solchen Rahmen bleibt Europa vollständig abhängig von Importen.
Meyer & Burger hat sich frühzeitig auf hochinnovative Zelltechnologien wie HJT und Tandemzellen konzentriert. Welche technologischen Durchbrüche sehen Sie bis 2030 als marktrelevant an – und welche Gefahr geht dabei von globalen Wettbewerbern aus?
Erfurt: Ab circa 2030 werden Tandem‒Solarzellen beginnen, den Markt zu prägen – mit realistischen Wirkungsgraden von bis zu 35 Prozent. Parallel dazu eröffnen neue Materialien den Weg zu leichten, flexiblen Modulen für Gebäudeintegration und Agri‒PV. Auch organische PV wird in Nischen, etwa bei transparenten oder hochflexiblen Anwendungen, eine Rolle spielen. Zusätzlich wird die Verbindung von PV mit KI‒Systemen für Endkunden entscheidend – von smarter Steuerung bis zu autonomen Energiegemeinschaften. Die größte Gefahr bleibt der globale Wettbewerb: Staaten wie China oder die USA bringen Innovationen sofort in Gigawattmaßstab. Europa hat die Technologien – entscheidend ist, ob es diesmal auch die industrielle Umsetzung schafft.
Sie haben sich wiederholt zur Notwendigkeit einer aktiven europäischen Industriepolitik geäußert. Was muss jetzt passieren, damit Europa im globalen Wettbewerb nicht nur mithält, sondern vorangeht?
Erfurt: Der Net Zero Industry Act ist europäisches Gesetz – jetzt müssen die 27 Mitgliedsstaaten liefern. Es geht um nicht weniger als den Erhalt heimischer Wertschöpfung in den Schlüsseltechnologien Solar, Wind, Batterien und Wasserstoff. Wenn wir hier nicht konsequent Nachfrage sichern, Produktion lokal fördern und ganze Wertschöpfungsketten aufbauen, verlieren wir industrielle Stärke und Souveränität an andere Regionen. Europas Chance liegt in Differenzierung: Tandemzellen bis 35 Prozent, leichte Module für Gebäudeintegration und Agri‒PV sowie KI‒vernetzte Systeme.
Auf welche Themen freuen Sie sich beim CLEAN TECH INNOVATION DAY & SOLAR TAP INDUSTRY DAY 2025 in Heidelberg besonders – und was möchten Sie der Community mit Ihrer Keynote mitgeben?
Erfurt: Ich freue mich auf spannende Diskussionen zu CleanTech – von Tandem‒Solarzellen über Batterien bis hin zu Wasserstoff – und besonders auf mutige Menschen, die vorangehen, statt sich in einer angestaubten Vergangenheit zu verstecken.
Mit meiner Keynote möchte ich der Community mitgeben: Technologie allein reicht nicht. Ohne aktive Industriepolitik und echte heimische Wertschöpfung verlieren wir volkswirtschaftliche Stärke und Souveränität. Europas Chance liegt darin, Innovation konsequent zu skalieren.